Eine Ader
von Brunhild Hauschild

Zugegeben, ich hänge an meinem Blut, bzw. hängt es an und in mir. Nicht, dass ich nicht Blutspenden würde, wenn es darauf ankäme. Aber wenn ich einen Labortermin wahrnehmen muss, scheint es, als wenn ich es ungern hergebe. Vielleicht habe ich auch nur zu wenig von diesem roten Saft.
Mein Hauptproblem besteht darin, und das will ich heute erzählen, dass ich jeder Blutabnahme mit einem schlechten Gefühl entgegensehe.
Jeder von ihnen kennt das: die Termine liegen meist vor dem Aufstehen, schlaftrunken und nüchtern quält man sich ins Labor. Um alles in Wallung zu bringen, trinke ich vor der Prozedur Wasser, wie das liebe Vieh, ich mache Liegestütze und Armübungen. Wenn ich dann vor der Laborschwester sitze, meine Trinkflasche neben mir positioniere und versuche, mich zu entspannen, meint die Gute: „Wollen Sie sich lieber hinlegen, kollabieren Sie vielleicht sogar?“ Worauf ich dann meist sage: „Ich bereite mich auf das Kommende vor, Sie tun das bitte auch und dann können wir uns gerne weiter unterhalten.“ Natürlich ahnt die Schwester noch nicht, was ihr bevorsteht, und ich hüte mich aus Erfahrung, es vorher zu sagen. Sie soll doch nicht verkrampfen!
Ich lege ihr meinen linken Arm bereitwillig vor die Nase, die sie nach mehrmaligem Beklopfen meiner Armbeuge anfängt zu rümpfen. „Sieht ihr rechter Arm ebenso aus?“ will sie dann wissen. Natürlich sieht mein rechter Arm anders aus, er hängt halt rechts von mir herab, alles ist seitenverkehrt. Meist verkneife ich mir diese Bemerkung, ich muss die Ärmste doch bei Laune halten! „Schauen Sie am besten selbst nach, er ist noch ungeeigneter fürs Blutabnehmen,“ entgegne ich sanft.
Um sich keine Blöße zu geben, schaut sie natürlich nach, klopft und streicht und klopft, bis sie reuemütig zu meinem linken Arm zurückkehrt.
„Na, dann wollen wir mal,“ beginnt sie erneut die Klopf-und Streichelprozedur. Nach gefühlten fünf Minuten wage ich es, ihr einen Tipp zu geben: „Meistens liegt die Ader etwa hier,“ sage ich dann und zeige auf die bewusste Stelle in meiner Armbeuge. Jetzt schaut sie dankbar zu mir auf, schaut mir sogar ins Gesicht und lächelt etwas.
Nun nehme ich den ersten Schluck aus meiner mitgebrachten Wasserflasche. Die Schwestern sprüht wieder ihr Cutasept über meinen Arm, wischt, klopft, streichelt, schüttelt den Kopf.
So kann ich sie nicht leiden sehen. Ich versuche also, meinen Joker aus der Tasche zu ziehen: „ Bitte nehmen Sie heute meinen Handrücken, dann haben wir es beide bald hinter uns.“ Erstaunt blickt sie mir schon wieder ins Gesicht, nun erahnt sie die Schwere dieses Vorgangs.
„Das tut doch sehr weh, das wollen Sie wirklich?“ wagt sie mich zu besänftigen, aber das ist für sie nur ein kurzes Aufschieben ihrer Verpflichtung. „Gut, dann probieren wir es.“ Das Desinfektionsmittel reicht für eine üppige Handwäsche, sie tupft es fast unentschlossen ab. „Vorsicht, jetzt piekt es,“ weist sie mich an.
Nach gefühlten fünf Minuten wage ich zu sagen: „Jetzt tut es wirklich weh. Wenn noch kein Blut fließt, ziehen Sie bitte die Nadel heraus.“ Sie gehorcht. Wenn sie ein Hund wäre und einen Schwanz hätte, würde sie den wohl gerade einziehen. Just in diesem Moment kommt die Ärztin vorbei. „Frau Dr. Sommer, können sie hier bitte helfen,“ haucht die Schwester mutig. Und Frau Dr. Sommer kann. Demonstrativ greift sie meinen dargereichten Arm, streicht, klopft und wundert sich. Ich greife derweil nach meiner Trinkflasche und nehme einen großen Schluck. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“ lächelt mir die Schwester verschwörerisch zu. „Danke, noch ist alles im grünen Bereich. Wenn es notwendig ist, mache ich gerne noch ein paar Liegestütz oder sie baden meinen linken Arm in heißem Wasser,“ mache ich der Ärztin Mut. Mein Blut muss sich in die hintersten Adern verkrochen haben, blass und untastbar für jeden Blutrünstigen. Wie immer.
Die junge Ärztin blickt mich an, ich zeige ihr die heilige, geheime Fundstelle, sie streicht, lauscht in sich und schwupps, Cutasept, einmal drüber wischen und los. Und sie hat sie, meine Ader wallt und spuckt es aus, das köstliche, rare rote Etwas.
Sie lächelt noch immer, nun glücklich und mit sich zufrieden. Auch sämtliche Schwestern, die sich inzwischen eingefunden haben, freuen sich mit uns. Ich nehme noch einen kräftigen Schluck aus meiner Wasserflasche und freue mich bereits auf meinen Kaffee in der mitgenommenen Thermosflasche. Zur Ärztin sage ich lobend: „Sie haben anscheinend eine Ader für meine Adern.“ Nun lachen alle, der Tag kann beginnen.




© Brunhild Hauschild
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